Das Zugverhalten der westziehenden Weissstörche (Ciconia ciconia) hat sich geändert: Ein großer Teil dieser Vögel zieht nicht mehr, wie üblich, zum Überwintern nach Westafrika, sondern überwintert im Süden Spaniens.
Als „Storch Schweiz“, die schweizerische Gesellschaft für den Schutz des Weissstorchs, in den Jahren 2000 und 2001 das erfolgreiche Satellitentelemetrie-Projekt „SOS Storch“ durchführte, fand man heraus, dass bereits fast die Hälfte der schweizerischen Störche in Südspanien „hängen bleibt“. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Viele Tausend „Westzieher“ beenden den Zug nach Süden in Spanien, finden Nahrung in Reisfeldern und vor allem auf grossen, offenen Mülldeponien.
Laut einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 1999, die bis zum Jahr 2016 umgesetzt werden sollte, muss der organische Anteil des deponierten Mülls sukzessive auf bis zu 3% reduziert werden. Im Klartext bedeutet das: Essensreste und ähnliche Haushaltsabfälle werden aussortiert und kompostiert, verbrannt oder in Biogasanlagen verwertet. Ziel dieser Massnahme ist die Reduzierung der Emmissionen von klimaschädlichem Methan, das bei der Zersetzung organischen Materials auf den Deponien entsteht. Aber welche Folgen wird das Verschwinden des organischen Mülls, der verschiedenen Vogelarten derzeit noch als Nahrung dient, für die dort überwinternden Störche haben? Wie weit wurde die EU-Richtlinie bereits umgesetzt? Wie sieht der Zeitplan für die Umsetzung der Richtlinie auf den südspanischen Deponien aus? Welche Bedeutung haben die Mülldeponien für die Störche, im Vergleich zu anderen Nahrungsressourcen in der Region?
Auch die Frage nach dem Auslöser des veränderten Zugverhaltens ist bisher nicht beantwortet. Sind vielleicht die früheren „Ansiedlungsprojekte“ dafür mit verantwortlich? Vor einem halben Jahrhundert wurden Weissstörche aus Nordafrika in die Schweiz und indirekt auch in andere Länder Westeuropas „importiert“, um die damals fasst ausgestorbenen Populationen wieder aufzubauen. Die Gene der „angesiedelten“ Vögel befinden sich heute wahrscheinlich in vielen „europäischen“ Störchen. Haben sie vielleicht Einfluss auf Zugweg und -entfernung? Welche Rolle spielt der Klimawandel? Viele Fragen, die in der Fortsetzung des Projekts „SOS Storch“ beantwortet werden sollen. Diesmal wird der Schwerpunkt der Arbeit auf der Problematik des veränderten Zugverhaltens liegen, vor allem die Überwinterung auf den Mülldeponien in Südspanien.
Wie der erste Teil des Projekts „SOS Storch“ wird auch die Fortsetzung mit den neuen Schwerpunkten unter der Leitung des Storchenexperten Dr. Holger Schulz erfolgen. In den kommenden Jahren werden intensive Untersuchungen in Südspanien durchgeführt. Zusammen mit Partnern aus anderen westeuropäischen Ländern und Fachleuten für spezielle Untersuchungen (z.B. Genanalysen). Weitere Details über das Projekt finden sich auf dieser Website unter der Rubrik „Das Projekt“. Während der Feldarbeit in Südspanien werden wir regelmässig im „Projektblog“ berichten und neue Erkenntnisse vorstellen. Aber die Website soll nicht nur informieren. Sie soll auch die Kommunikation zwischen Storchen-Fachleuten fördern. Wer interessiert ist am Gedankenaustausch oder eigene Gedanken einbringen und veröffentlichen will, kann sich unter „Kontakte“ beim Projektleiter melden.
Wir freuen uns auf rege Beteiligung und viele spannende Kommentare. Vielleicht findet sich auf diesem Weg auch die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit dem einen oder anderen Kollegen und Leser.