Nur 8 Kilometer sind es vom Campingplatz bis zur Mülldeponie „Dos Hermanas“. Den genauen Weg zeigt mir mein GPS, denn beim letzten Besuch vor 10 Jahren hatte ich die exakten Koordinaten in dem Gerät eingespeichert.Der Regen allerdings macht mir einen Strich durch die Rechnung.
Zwar kann ich auf einer asphaltierten Strasse in gebührendem Abstand rund um die Deponie fahren, aber der Zugang mit Blick auf die Deponie ist versperrt, da ihn stark angestiegene Flüsse verwüstet haben. Auch mein Versuch, an der Einfahrt der Deponie eine Betretungsgenehmigung zu erhalten, scheitert: Heute ist Sonntag, und da arbeiten auch die spanischen Müllwerker nicht. Storchennester auf vielen Mittelspannungsleitungen zeigen mir jedenfalls, dass sich Weissstörche noch immer gerne in der Nähe der Deponien ansiedeln.
Was tun in dem tristen Wetter? Ich beschliesse, in den nahe gelegenen Reisfeldern am Guadalquivir-Fluss nach den Störchen zu suchen. Vor 10 Jahren konnten wir die Vögel dort regelmässig beobachten, beim Fressen der aus Amerika eingeschleppten Krebse (Procambarus clarkii). Bei dem Ort Los Palacios y Villlafranca finde ich dann auch die Einfahrt in das System von Wegen, das durch die in regelmässigen Quadraten angelegten Reisfelder führt. Auch dort hat der Regen zugeschlagen: Roter, schmieriger Schlamm bedeckt anstelle des sonst üblichen Staubs die Pisten.
Die Reisfelder sehen trostlos aus. Klar, denn saftig grünen Reis konnte ich jetzt, mitten im Winter, hier nicht erwarten.Ähnlich wie viele Getreidefelder bei uns in Mitteleuropa sind die Bewässerungsflächen jetzt trocken, ohne jegliche Vegetation. Geflutet und angepflanzt werden sie erst später im Jahr. Störche finde ich deshalb erst mal nicht, nur ein einzelner Schwarzstorch hat sich offenbar in ein trockenes Reisfeld verirrt.
Nach mehrstündiger Suche endlich ein Lichtblick. In der Nähe einer Reisbauern-Kooperative sind einige Flächen geflutet. Zahllose Möwen suchen dort im flachen Wasser nach Nahrung, aber auch Reiher, Löffler und Weissstörche. maximal 100 Störche kann ich kleinen Trupps zählen, bei weitem nicht die Anzahl, die in „normalen“ Wintern dort anzutreffen ist. Die Beutetiere der Vögel messen etwa 5-10 cm, es könnten also die amerikanischen Krebse sein. Um das genau zu erkennen, müsste man näher herankommen, aber das ist leider unmöglich.
Nach mehreren Stunden auf den rutschigen Pisten gebe ich die Suche auf. Falls noch immer die Tausende von Störchen hier überwintern, die wir in den Jahren 2000 und 2001 gefunden haben, dann verstecken die sich in diesem Jahr sehr erfolgreich. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Vielleicht sind auch die Kälte, der Regen und der eisige Nordwind daran schuld, dass die Vögel sich nicht blicken lassen.
An einer Freileitung, die durch ein Naturschutzgebiet am Rande der Bewässerungsgebiete verläuft, sehe ich Vogelabweiser, die an den Stromkabeln befestigt sind. Sie sollen verhindern, dass Greifvögel und Störche in diese Leitungen fliegen. Vielleicht als Folge unseres Projekts „SOS Storch“ in den Jahren 2000/2001, in dem wir unter anderem herausfanden, dass auf wenige Kilometern Länge mehr als einhundert verunglückte Störche unter Freileitungen lagen.
Als ich kurz vor Einbruch der Dämmerung das Reisanbau-Gebiet verlasse, ist mein neuer VW-Bus vom roten Schlamm der Pisten verspritzt. Es war ein langer Tag, dort draussen, allerdings ohne neue Erkenntnisse. Ich hoffe, dass sich in den nächsten Tagen die Gelegenheit ergibt, direkt in der Deponie Dos Hermanas Beobachtungen zu machen. Nach dem heutigen Tag stellt sich jedenfalls die Frage: Sind die Störche bereits Richtung Norden zu ihren Brutgebieten abgeflogen, oder kommen sie evtl. nicht mehr auf die Deponien, weil der Anteil organischen Mülls bereits entsprechend der EU-Richtlinie reduziert wird? Die nächsten Wochen werden hoffentlich Licht ins Dunkel bringen.
Am Abend telefoniere ich mit Daniel Schedler vom Vorstand der Gesellschaft „Storch Schweiz“. Er macht gerade Urlaub in Südspanien und hat bei dieser Gelegenheit vor etwa zwei Wochen die Deponie „Los Barrios“ bei Algeciras besucht. Auch dort konnte er nur etwa 40 Weissstörche beobachten. Bei unserem letzten Besuch in Los Barrios – auch Daniel war damals dabei – sahen wir dort noch Tausende. Übermorgen werde ich Daniel in der Nähe von Cadiz treffen, wir werden dann besprechen, welche Arbeiten wir in den nächsten Tagen gemeinsam angehen können.
Auch am Abend zeichnet sich keine Wetterbesserung ab. Noch immer weht der kalte Wind, und weiterhin ist es untypisch kalt. In meinem „mobilen Büro“, auch heute wieder auf dem Campingplatz in Dos Hermanas, kann man ich es dank der Heizung aushalten. Trotzdem hoffe ich, dass die Grosswetterlage sich in den nächsten Tagen ändert und auch die Störche sich wieder blicken lassen.