24. Januar 2011: Dos Hermanas – Mülldeponie als Hochsicherheitstrakt?

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Die Suche nach den überwinternden Störchen – sollten sie denn nicht mehr auf den Mülldeponien sein – bringt mich heute auf die Isla Menor, eine Region direkt am Guadiana-Fluss, der sich flussabwärts von Sevilla mit dem Guadalquivir vereint. Man hatte mich informiert, dass es dort „viele Störche“ geben solle. Über rotgelbe Lehmpisten folge ich direkt dem Lauf des Flusses nach Süden.

Und die finde ich tatsächlich auch bald. Es sind allerdings keine Durchzügler oder Überwinterer, sondern überwiegend Brutpaare, die dort in hoher Dichte nisten. Wichtigste Brutplätze sind Freileitungsmasten. Die Brutsaison hat hier bereits begonnen. Überall ist das Klappern bei der Begrüßung der Partner oder bei der Abwehr von Konkurrenten zu hören. Kopulationen kann ich mehrfach beobachten, und manche Vögel sitzen bereits fest auf den Eiern. Das Brutgeschäft ist in vollem Gang – es beginnt offenbar früh im Jahr hier in Andalusien.

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Die Region sieht so aus, wie man sich ein „gutes“ Storchengebiet vorstellt. Feuchtwiesen direkt am Guadiana-Fluss, Grünland mit Weidevieh. Unter solchen Bedingungen finden die Vögel sicher genug Nahrung und müssen nicht zur nahen Deponie fliegen, um satt zu werden. Und so kann ich kleinere Storchengruppen mehrfach bei der Nahrungssuche auf dem Grünland unter den Nestern beobachten.

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Aber auch auf den für die Kulturen vorbereiteten Bewässerungsflächen (wahrscheinlich wird dort Reis angebaut) sehe ich Störche. Sie erscheinen mir scheuer, und ich vermute, dass es sich bei ihnen um Durchzügler oder Überwinterer handelt. Im Schlick finden sie Nahrung, und manche Plätze sind so begehrt, dass die Vögel darum streiten. Es ist eine spannende Fahrt, auf Pisten durch diese weite, offene Flussebene, in der man Menschen nur in wenigen kleinen Siedlungen findet. Rohrweihen segeln im gaukelnden Flug vorbei, Kormorane trocknen auf verdorrten Uferbäumen ihre Flügel, und Kuhreiher bleiben den weidenden Kühen und Pferden immer dicht auf den Fersen, um die von ihnen aufgescheuchten Insekten zu erbeuten.

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Am Nachmittag beschliesse ich, einen erneuten Versuch in der Mülldeponie Dos Hermanas zu wagen. Heute sind die Einfahrten geöffnet. Grosse Schilder „Fotografieren verboten“ machen schon auf den ersten Blick deutlich, dass es hier ganz geheim zugehen muss. Ich parke mein Fahrzeug am Wegrand und klopfe an das Fenster des mit „Informacion“ beschrifteten Häuschens. Eine nette Dame öffnet eine 20×20 cm grosse Luke und fragt mich freundlich, wie sie mir helfen könne. Ich radebreche mit meinem rudimentären Spanisch etwas von Störchen. „Fotografieren? Nein das geht nicht“, meint sie. Aber ich möchte doch erstmal nur reden, versuche ich, ihr klar zu machen. „Hablar, reden? Nein, auch mit reden dürfen Sie hier nicht rein“ ist die Antwort. Ob es Störche gibt, will ich wissen. „Ja, ein paar Hundert bestimmt“, antwortet die Dame. Als ich nach dem Chef frage, schüttelt sie jedoch energisch den Kopf: „Ein Chef, hier auf der Deponie?“, meint sie ungläubig, als hätte ich einen schlechten Scherz gemacht und erklärt mir dann, dass ich den Chef in Sevilla aufsuchen müsse. Immerhin bekomme ich seine Telefonnummer sowie Datum und Uhrzeit, wann er zu erreichen ist. Aber Englisch könne er nicht, erfahre ich, auch mit ihm könne ich nur Spanisch reden.

Eigentlich kein Problem, da muss eben Daniel ran. Daniel Schedler ist Mitglied im Vorstand von „Storch Schweiz“, und übermorgen werde ich ihn wahrscheinlich bei Cadiz treffen. Aber erstmal will ich versuchen, noch irgendwie einen Blick auf die Deponie zu werfen. Ich folge der schmalen Straße, die, immer etwa 2-3 km entfernt, rund um die Deponie führt. Unglaublich, es gibt keine Pisten, die von der Strasse weg in Richtung Deponie führen. Es gäbe wahrscheinlich den Weg über einige Fincas am Strassenrand, denn irgendwie müssen die Bauern ja das Land vor der Deponie bewirtschaften. Aber auch die haben sicher ihre Anweisungen, da bin ich mir sicher. Aber warum nur die ganze Heimlichtuerei? Ein Atomwaffensilo in Mitteleuropa ist wahrscheinlich nicht viel stärker bewacht als diese Deponie. Eigentlich sollte man meinen: Wer so viel Energie daran setzt, nicht gesehen zu werden, der muss irgendwie Dreck am Stecken haben. Aber was soll das sein?

Und so versuche ich weiter, auf eigene Faust einen Blick auf das Geheimnis zu erhaschen. Schliesslich finde ich eine Stelle, von der aus man zumindest den höher gelegenen Teil der Deponie einsehen kann. Und im Spektiv kann ich dann, wenn auch über 2 km Entfernung, tatsächlich sehen, dass dort noch immer viele Gefiederte unterwegs sind.

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Zahllose Vögel fliegen über der Deponie. Im Fernrohr kann ich Möwen, Schwarzmilane und Weissstörche erkennen. Auch auf dem Kamm des Hügels stehen zahlreiche Störche. Alles in allem schätze ich die Zahl der Weissstörche auf mindestens 500 bis 1000. Ich kann aber nur einen Teil der Deponie einsehen, ausserdem sind zuverlässige Zählungen auf diese Distanz nicht möglich. Es könnten sich also ohne Weiteres auch wesentlich mehr Störche auf der Deponie aufhalten. Auch sehe ich immer wieder kleinere Gruppen von Störchen in Richtung der Reisfelder abfliegen.

Mit diesem ersten Eindruck bin ich recht zufrieden, auch wenn er mir gesicherte Daten bisher nicht liefert. Zwei Dinge erscheinen mir jetzt doch sehr wahrscheinlich: 1. Es sind noch viele überwinternde Störche hier, wenn nicht sogar das Gros. Und 2. Im Müll der Deponie muss sich noch immer jede Menge organischen Materials befinden, sonst gäbe es keinen Grund für die Vögel, sich dort aufzuhalten.

Es bleibt also spannend. In den nächsten Tagen werde ich versuchen, einen Einblick in die anderen bekannten Deponien zu erhalten. Dass unliebsamen Beobachtern dort sogar mit Warnschüssen gedroht wird, hat mir Daniel Schedler bereits berichtet. Ich hoffe, es gelingt uns trotzdem, in den nächsten Wochen unbeschadet mehr über das „Geheimnis der Mülldeponien“ zu erfahren.

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